Lenin, ausgerechnet Lenin! Aristoteles Onassis war hier und Maxim Gorki, Prinzessin Margret und Gerhart Hauptmann. Aber wem haben die Capreser ein Denkmal gebaut? Lenin. Und als ob das nicht reichen würde, um die ideologische Neutralitäs des Filands vor aller Well zu dokumentieren, äugt der Oktober-Revolutionär von seiner Marmor-Buste auch noch direkt auf die Via Krupp.
Ausgerechnet Capri und Krupp - das ist eine extreme Beziehung. Mit Träumen und Intrigen, hochfliegenden Plänen und abgrundtiefen Enttäuschungen. Und die Via Krupp, die vor 100 Jahren nicht als schnöde Straße, sondern als kurvenreiches Kunstwerk in den Insel-Fels gehauen wurde, windet sich die Steilküste hinab wie ein steinernes Symbol. Von ganz oben nach ganz unten. Der Lebens-und Leidensweg eines Mannes, der auf Capri sein Glück suchte und als tragische Gestalt endete.
Friedrich Alfred Krupp hat Capri geliebt: "Sie, der Sie wissen, wie glücklich ich auf Capri war, meiner zweiten Heimat, und wie ich mich selber als Caprese fühlte, werden meinen Kummer verstehen. (...) Es wird mein glücklichster Tag sein, wenn ich wieder zu Ihnen zurückkehren kann, nachdem die traurige Affäre eine zufriedenstellende Läsung gefunden hat."
Friedrich Alfred, genannt Fritz, schrieb diesen Brief an den Capreser Arzt Ignazio Cerio am 5. August 1902 - drei Monate vor seinem Tod. Die Insel im Golf von Neapel, die ihm so sehr am Herzen lag, sah er nie wieder.
"Die traurige Affäre" hat den Enkel des Firmengrџnders Friedrich Krupp bis aufs Sterbebett verfolgt, und sie hat ihn überlebt.
Die Capreser - jedenfalls die meisten - haben Friedrich Alfred Krupp geliebt. 1898 kam der Groß-Industrielle aus dem Norden erstmals in Italiens Süden.
44 Jahre alt war er, unvorstellbar reich, ziemlich krank und latent unglücklich. Von den tauen Lüften Capris versprach sich der Kanonen-Känig, der unter Asthma und hohem Blutdruck litt, Linderung. Und von den Menschen, die auf der Insel lebten, erhoffte sich Fritz die Wärme und Herzlichkeit, die er zu Hause in Essen vermisste.
Obwohl später ala Unternehmer so erfolgreich wie kaum ein anderer Krupp, galt er in seiner Jugend als schwarzes Schaf der Familie. Statt mit Stahl beschäftigte er sich mit der Tiefseeforschung, auch das ein Grund, der den erwachsenen Friedrich Alfred ans Mittelmeer zog. Abtauehen in eine andere Welt...
Capri zur Jahrhundertwende, das war eine andere Welt. Ganz anders jedenfalls als das industrielle Essen und das wilhelmisehe Deutschland. Mondän gab man sich, ungezwungen und vergleichsweise liberal. Friedrich Alfred Krupp genoss dieses Leben. Der Industrie-Magnat trat am liebsten inkognito auf, suchte den Kontakt mit den Einheimischen, fand Freunde unter Fischern und Bootsführern.
Mit ihnen traf er sich in einer Hähle, die nach einem früheren Einsiedler den Namen Grotta di Fra Felice" trug und vor deren Eingang ein Schild mit der lateinischen Inschrift "Parva domus, magna quis" ("Klein das Haus, groß die Ruhe") prangte.
Was hier geschah, wenn sich die Besucher zum Klang von Gitarren und Mandolinen in weiße, wallende Gewänder hüllten und die Großzügigkeit ihres Gastgebers lobten, bleibt bis heute umstritten. Was manche Historiker als harmlos-frähliche Feste mit Stammtisch-Charakter beschreiben, lieferte die Vorlage für den so genannten Krupp-Skandal, der im Herbst 1902 Kreise durch halb Europa zog. Der Vorwurf, zunächst veräffentlicht in der gräßten Tageszeitung Neapels, danach von anderen Blättere wie dem "Vorwärts" weiter getragen: Die "Grolls di Fra Felice" sei nichts anderes als eine Lasterhähle, in der Krupp seine homosexuellen Neigungen zügellos auslebe.
"Die traurige Affäre", die so ihren Anfang nahm, vertrieb Friedrich Alfred von seiner geliebten Insel. Nur wenige Tage nach Erscheinen dea Artikels im "Vorwärts" starb der "Kanonen-Känig", der er nie sein wollte, in der Essener Villa Hügel, die er nie als seine Heimat empfunden hat. Selbst Krupps Tod wurde zum Politikum. Offiziell erlag er einem Gehimschlag, doch Vermutungen, es sei Selbstmord gewesen gab es von Anfang an. Der Kaiser selbst gab den Gerüchten Nahrung: Wilhelm II., der zum Begräbnis nach Essen gekommen war, beschuldigte die Sozialdemokratie, den Mann, den en er zu seinen Freunden zählte, "durch Seelenqual gelätet" zu haben.
Hinterlassen hat Friedrich Alfred Krupp viele offene Fragen - und die Via Krupp auf Capri.
Knapp 1500 Meter lang, führt der gepflasterte Pfad im Zick-Zack-Kurs zum Badestrand der Marina Piccola" und hinter jeder Kurve wartet ein neues Panorama, das einem die Augen übergehen lässt. Verkehrstechnisch ein überflüssiger Luxus, war der Weg von Anfang an als Kunstwerk geplant.
Die Linken im Stadtrat von Capri hätten die 45 000 Lire, die Krupp für den Bau zur Verfügung stellte, lieber in ein neues Bootshaus für die einheimischen Fischer gesteckt. Doch der Groß-Industrielle, der auf der Insel nie ein eigenes Domizil besaß, sondern eine Vier-Zimmer-Suite im noblen Hotel "Quisiana" bewohnte, wollte Spuren hinterlassen.
Das Ziel ist der Weg. 100 Jahre nach der Erљffnung ist die Via Krupp noch immer Anziehungspunkt für alle Besucher.
Für die Tages-Touristen aus Japan, die auf ihrem Europa-In-Zwei-Wochen-Trip mal gucken wollen, ob die Sonne, die bei ihnen zu Hause aufgeht, hier wirklich so rot im Meer versinkt (ja, doch, sie tut's - aber auf der anderen Seile der Insel). Und natürlich fџr die Deutschen, die irgendwas mit Krupp und Capri im Kopf haben und sich unterwegs wundern, warum nur ein kleines Täfelchen, das der Rotary-Club von Capri gestiftet hat, an den Namensgeber der vielleicht schänsten Seitenstraße der Welt erinnert.
Die Capreser haben Krupp geliebt. Sie haben ihn zu ihrem Ehrenbürger gemacht und ihn bei seinem Tod mit einem äffentlichen Trauertag gewürdigt, an dem die Geschäfte geschlossen und die Gebäude mit deutschen und italienischen Fahnen geschmückt waren. Und jetzt, nach 100 Jahren, wollen die Capreser, dass endlich Schluss ist mit der "traurigen Affäre". Im Rathaus von Capri bereiten Bürgermeister Costantino Federico und seine Mitarbeiter eine Ausstellung vor, die dem Rest der Well beweisen soll, dass der "Krupp-Skandal" nichts anderes war als der Ausfluss bäsartiger Verleumdungen.
Falls es dieser Form der Rehabilititation im Jahr 2002 überhaupt bedarf: Ein bisschen Berechnung ist vielleicht auch ins Spiel Capri braucht Geld, viel Geld. Die Kalkfelsen, in die Emil Mayer, Ingenieur und technischer Wegbereiter der Via Krupp, den faszinierenden Serpentinen -Pfad schlagen ließ, sind brüchig, sehr brüchig 20 bis 30 Millionen Euro wird es wohl kosten, um die Abhänge so zu sichern, dass den Besuchern keine Steine mehr auf den Kopf falten. Vor ein paar Jahren ist es passiert und hat ein Kind gelљtet. Seitdem versperrt ein großes, eisernes Tor mit eisern dik ken Vorhängeschloss die Via Krupp, und nur wer neugierig und gelenkig genug ist, verschafft sich nach einer kleinen Kletterpartie Zutritt zum Wunder-Weg.
Capri braucht Touristen, und Touristen brauchen Attraktionen.
Also knüpft die Gemeindeverwaltung diskrete Kontakte zu möglichen Geldgebern. Die EU vielleicht' Die Stadi Essen, der man die Ausstellung über Krupp auf Capri anbieten mächte? Die Krupp-Stiftung, die sich nicht nur als finanzieller Nachlass-Verwalter des kruppsehen Erbes versteht? Man ist im Gespräch.
In der Zwischenzeit wuchert die Traumstraße Stück für Stück zu, und auf Capri denkt man darüber nach, das Andenken des Mäzens noch auf eine zweite, preiswertere Weise hoch zu halten. Aus den Giardini di Augusto", in denen die Via Krupp sich auf den Weg macht, sollen wieder die "Krupp-Gärten" werden Dass der Revolutionär auf seinem Marmor Sockel dann auch noch als Dekoration in der kruppschen Parkanlage stehen würde, kümmert auf Capri kaum jemanden. Krupp oder Lenin? Der Klassenkampf mag toben, wo er will.