Capri ist der romantischste Ort der Welt
Einst karge Ziegeninsel, heute ?ppiges Naturparadies ist die Insel ein Traum für den Jetset und Otto Normalverbraucher
SOLE mio (Germany) - 01/06/2003
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Auch wer noch nie da war, weiß es: Capri ist der romantischste Ort der Welt. Schon Peggy Guggenheim verbrachte Mitte der zwanziger Jahre ihre schönsten Flitterwochen auf Capri und bis heute kommen Paare aus aller Welt zum Turteln auf die Mittelmeerinsel. Neuerdings der letzte Schrei: Hochzeit auf Capri. Entweder auf dem städtischen Standesamt, mit Blick auf die renommierte Piazzetta oder in einer verträumten, lachs-rosafarbenen kleinen Kapelle, die ein paar Inselbegeisterte deutsche Bankiers um 1900 gebaut haben.
Doch Capri ist beileibe nicht nur ein Ort, der ausschließlich Verliebte mit Fernweh anzieht.
Die magische Anziehungskraft dieser einst kargen Felseninsel wird von einer sich heute verschwenderisch zeigenden Natur ausgelöst: grandiose Felsen wohin das Auge blickt, dazwischen Dutzende von malerischen Buchten, die zusammen mit den schroffen Klippen auf dem nur knapp elf Quadratkilometer großen Landfleck um den besten Platz wetteifern.
Überzogen ist dieser Inselbrocken aus sprödem Kalkstein mit einem saftigen Macchiagrün, die Farbtupfer Pink und Gelb der omnipräsenten Bougainville a und des Frühlingsginsters setzen immer wieder fröhliche Akzente. Auch deshalb ist Capri die Insel der Sinne.
Auf Schritt und Tritt gibt es etwas zu bestaunen. Gleich nach der begnadeten Landschaft, die sich hinter jeder Straßenkurve - zum Beispiel unterwegs zum Belvedere Punto Tragara oder hinunter nach Marina Piccola - neu inszeniert zu einem immer noch schöneren Ausblick aufs Meer, kommen die mondänen Besucher. Sie stehlen dieser Landschaft, zumindest innerhalb der Stadtmauern Capris, oft die Schau und degradieren die malerisch gelegenen Felsen durch ihren Auftritt zur Kulisse.
Schauplatz des täglichen Spektakels ist in den Monaten März bis Oktober die Piazzetta, Capris berüchtigter Salon. In der Saison steht der auf vier Seiten durch das Rathaus, die Kirche und den Campanile eingerahmte Platz wie ein großer Empfangssaal voller Korbstühle und Tischchen. Die vier Bars der Piazzetta leben von einem einzigen Programm: Sehen und Gesehen werden. Die Tagestouristen, die wie Schafherden in den Morgenstunden durch die Sitzreihen geschleust werden, haben dabei nur eine Statistenrolle. Die Hauptrollen spielen diejenigen, die sich in der legendären Bar Tiberio einen täglichen Capuccino im Sitzen leisten können. Natürlich kennen sich diese Caprihabitués der Sommermonate alle untereinander, schließlich begegnet man sich auf der Miniinsel auf Schritt und Tritt: Beim Frühstück auf der Piazzetta oder beim Baden in einer der exklusiven Strandbäder - das einst von der englischen Schauspielerin Gracie Fields geführte La Canzone del Mare unten in Marina Piccola ist ebenso beliebt wie La Fontelina, in dem sich auch deutsche Stars wie Iris Berben einfinden.
Und am späten Nachmittag, wenn die Dampfer das Fußvolk längst wieder zum Festland gebracht haben, trifft man sich noch mal zu einem Glas Champagner oder einem bunten Cocktail auf der Piazzetta.
Nur in den Modegeschäften müssen sich die Schönen und Reichen heute nicht mehr auf' die Füße treten: Früher schauten sie vielleicht einmal in der historischen Ferragamo -Boutique unterhalb der Piazzetta vorbei oder kauften sich bei einem der zahlreichen Schuster auf dem Weg zur Via Tragara ein paar, übrigens bis heute handgemachte Capri -Sandalen - nur Brigitte Bardot liebte es, barfuß über die gepflasterten Wege der Inseln zu schlendern.
Heute dagegen haben Modesuchende auf Capri wie in jeder anderen Großstadt die Qual der Wahl. Denn die zentral gelegene Via delle Camerelle vor dem Luxushotel Quisisana brüstet sich als exklusive Einkaufsstraße, die es auch mit einer Via Montenapoleone oder den Champs-Elysées aufnehmen kann. Capris Vorteil gegenüber Mailand und Paris ist das auch für Fußfaule bequeme Shopping: Denn die Geschäfte reihen sich neuerdings wie Perlen einer Kette aneinander: Louis-Vuitton, Gucci, Prada, Fendi, Ermenegildo Zegna und demnächst sogar Bulgari.
Capri steht wieder ganz oben auf der Liste der von den VIP's begehrten Reiseziele und genießt einen mondänen Ruf: "New York - Paris - Capri" - unterstreichen die Boutiquen die Bedeutung der Insel auf ihren schicken Einkaufstaschen.
Viele vergessen dabei: Die Insel ist nicht etwa erst seit der Entdeckung der Blauen Grotte 1826 bekannt, sondern besitzt einen Ruf, der sich vor zweitausend Jahren begründete. Damals setzte der römische Kaiser Augustus alles daran, um Capri zu besitzen. Deshalb tauschte er die vier Mal größere und weitaus fruchtbarere Nachbarinsel Ischia begeistert gegen die kleine Felseninsel ein. Sein Stiefsohn und Nachfolger Tiberius ging noch weiter: er war so in die Insel vernarrt, daß er nicht nur zwölf prunkvolle Paläste an den attraktivsten Aussichtspunkten der Insel bauen ließ, sondern auch Capri zur Hauptstadt machte: die letzten elf Jahre seines Lebens regierte er das Römische Reich von Capri aus. Nach seinem Tod fiel die Insel in einen fast zweitausendjährigen Dornröschenschlaf. Die Rolle des Prinzen übernahm ein deutscher Maler aus Breslau: August Kopisch entdeckte im August 1826 die Blaue Grotte auf Capri.
Als erstes fühlten sich die Schöngeister von der Zauberinsel angezogen: Schriftsteller, Maler, Schauspieler und Lebenskünstler. Einige wurden durch ihre Caprileidenschaft berühmt oder berühmter: Axel Munthe, der schwedische Modearzt, schrieb auf Capri seine Biografie, die in den dreißiger Jahren weltweit ein Bestseller wurde. Seine weisgekalkte Villa "San Michele", ausgestattet mit unzähligen antiken Reliefs, Büsten und Inschriften, thront auf den Resten einer antiken Villa und ist als Museum und
Park die beliebteste Sehenswürdigkeit Anacapris. Curzio Malaparte, der exzentrische Journalist und Autor setzte sich mit dem Bau seiner hummerroten "Casa Malaparte" auf einer schroff ins Meer ragenden Klippe im Süden der Insel ein Denkmal: Als Architekt ist er deshalb heute unter den Capribesuchern bekannter denn als Schriftsteller. Wer sich auf den Weg zu seiner abgelegenen Villa macht, und über die Flaniermeile Via delle Camerelle und die Via Tragara mit ihren feinen Villen runter zur Via Pizzolungo geht, wird sich klar darüber, daß man fir die schönsten Dinge auf Capri eigentlich kein Geld benötigt, sondern nur eine gehörige Puste mitbringen muß. Unbezahlbar sind auch die Ausblicke an klaren Sonnentagen oben von der Villa Jovis, einst Tiberios Residenz, die in einem einstündigen Marsch bergauf erobert werden will oder die auch im Hochsommer kühle Prise, die einen in dem grünen Wäldchen hinter dem Arco Naturale, einem natürlichen Kalksteinbogen, erwartet. Romantisch, sinnlich, zugleich abenteuerlich und sicher einzigartig ist zuletzt ein Besuch der bis heute wichtigsten Attraktion der Insel, der Blauen Grotte.
Am besten am späten Nachmittag, wenn die offiziellen Ruderboote sich zurückgezogen haben, und die Sonne noch hoch genug steht, um das Licht brechen zu lassen: Wer es sich leisten kann, weil er fit ist, nimmt die berühmte Meereshöhle am besten als Schwimmer ein. Der Eindruck drinnen ist unvorstellbar: Das Wasser ist blauer als man sich alle Blaus der Welt ausmalen könnte. Und die Erinnerung an das Gefühl eines echten Grotteneroberers, wird allen Schwimmern danach garantiert teurer sein als jedes noch so kostspielige Inselsouvenir.
Stefanie Sonnentags
SPAZIERGÄNGE DURCH CAPRI
Kein Eiland ist eine Insel, auch nicht Capri. Die Riesenklippe im Golf von Neapel hat ihren festen Platz im "italienischen Traum" der Nordlichter. Sie verzauberte Arm und Reich, Otto Normalverbraucher und Intellektuelle. Capri ist Schnulze: In den 50er Jahren war die Canzone "Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt" deutscher Superhit. Die "Ziegeninsel" (von capra, Ziege) ist aber auch Aussteiger-Oase, Intellektuellen-Magnet und Society-Laufsteg. Vo n Frühling bis Spätherbst ist die Marina Grande Landeplatz für Licht - und Sonnenhungrige, die in der üppigen mediterranen Vegetation der Vision vom irdischen Paradiesgarten nachhängen. Eine Crème von Dichtern, Denkern, Malern suchte hier Ruhe und Ideen, und wenn man dem italienischen Dichter Dino Buzzati glauben mag, webt ein Hauch von ihrem Geist immer noch zwischen Piazza Grande und den Faraglioni -Klippen, zwischen der Villa des Kaisers Tiberius und dem Bergnest Anacapri.
SOLE mio-Autorin Stefanie Sonnentag wohnt auf Capri.
Die Idee der altvorderen Geisterbeschwörung lag nahe. Sie besuchte Friedrich Nietzsche, Gerhart Hauptmann, Friedrich Alfred Krupp, Rainer Maria Rilke, Axel Munthe, Monica Mann, Joseph Beuys und viele andere am Ort, wo sie auf der Insel leibten und lebten. Nicht die Nostalgie führt die Feder, sondern die journalistische Freude an der Chronik.
Ihre Spaziergänge durch das literarische Capri und Neapel (152 Seiten mit 119 Abbildungen und 9 Karten, € 14.80, sFR 25.60, Arche Verlag, Zürich-Hamburg) sind ein vergnüglicher Reiseführer über die Insel, mit einer Fülle von bisher unveröffentlichten Anekdoten und Informationen.
Der Homo sapiens ist nie nur er selbst. Ein Stück von Capri und seinen Gästen - das ist dem Buch zu entnehmen - steckt auch im Bildungsbürger, der nie den Fuß auf die Insel gesetzt hat. Warum also nicht mit Stefanie Sonnentags Wegweiser über die Insel laufen?
Man begegnet auch Maxim Gorki, Marguerite Yourcenar, Graham Green, Alberto Moravia, Elsa Morante und - abermals - vielen anderen. Was noch wichtiger ist: Eventuell findet man auch sich selbst. Zum Sound von "Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt" - wer weiß?