Capris schönster Salon
Trotz Villa Jovis und Blauer Grotte ist der Mittelpunkt der Insel die Piazzetta
Berliner Zeitung (Germany) - 04/05/2003
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Die beste Zeit auf Capri beginnt am Nachmittag so gegen fünf. Dann, wenn die Reiseführer ihre Regenschirme zusammenklappen und die Schwärme von Tagestouristen die Insel wieder verlassen haben. Plötzlich wird es still in den malerischen Gassen um die Piazzetta. Dann kann man ungehindert die elegante Via Camarelle entlangschlendern, die Auslagen der global austauschbaren Edelboutiquen bestaunen und sich fragen, was die exquisiten Fummel wohl kosten. Preise sind nicht zu sehen. Biegt man am Ende der Straße in die Via Tragara ein, beginnt eine andere Welt. Gleich nach dem Blumenladen der Signora Ruggiero fällt eine kleine Kirche auf. Nicht im mediterranen Stil mit dem für Capri typischen, in der Mitte aufgewölbten Flachdach errichtet, sondern nordisch schlicht mit roten Ziegeln auf Spitzdach und Turm. ,,Deutsche Evangelische Kirche" steht in altmodischen Lettern auf hellem Putz. Drinnen probt der Organist für die Trauung am Nachmittag. May und Andy aus Chattanooga in Tennessee, USA, wollen den Bund fürs Leben schließen. Pfarrer und über 100 Gäste wurden bereits eingeflogen. Ein Happening für die Hochzeitsgesellschaft. Für das kleine Gotteshaus seit hundert Jahren nichts Besonderes. Nur, dass früher die Gäste vorwiegend von nördlich der Alpen kamen. So zwischen Mitte Dezember und Ende Mai. Dann endete die Saison auf Capri. Im Sommer fuhr man nach Sylt. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich eine deutsche Kolonie auf Capri angesiedelt. Adel, Geldadel und Künstler. Damals gab es kein eigenes Gotteshaus auf der Insel. Zum Gebet begab man sich in das Nobelhotel Quisisana in den Lesesaal. Ein ärgerlicher Zustand. Schließlich besaßen die Engländer, obwohl zahlenmäßig in der Minderheit, längst ihre eigene Kirche. Um den Mangel zu beheben, wird ein "Verein zur Einrichtung deutsch-evangelischer Gottesdienste in Kurorten e.V." in Frankfurt gegründet, werden Gelder gesammelt und ein Grundstück erworben. Endlich ist es so weit. Am 24. Dezember 1899 wird die kleine neugotische Kirche eingeweiht. Heute ist das Gotteshaus ein Ort der Begegnung von Gläubigen aller Kontinente. Um Organisation und frische Blumen kümmert sich Signora Ruocco Bienengraeber. Als Jutta Bienengraeber in den fünfziger Jahren aus dem kühlen Hamburg nach Capri kommt, um für die noch junge "BildZeitung" eine Reportage über das Thema "Deutsche Mädchen heiraten Italiener" zu machen, ahnte sie nicht, dass sie bald eine von ihnen sein würde. Sie traf nämlich Herrn Ruocco, verliebte sich in ihn und die Insel, wurde überzeugte Capresin und lebt in einem weißen Haus mit Blick aufs Meer. Um 1900 residieren deutsche Gäste im Hotel oder häufiger sogar in Villen. Das war nicht neu. Bereits zweitausend Jahre bevor Stahlbaron, Krupp seine Villa baute und eine schmale Straße, die ',Via Krupp", in Serpentinen direkt hinunter zum Meer aus dem Fels bauen ließ, hatte Kaiser Tiberius seinen grandiosen Zweitsitz auf der Insel errichten lassen. Villa Jovis ist heute Ruine, der Weg dorthin zählt zu den reizvollsten Wanderungen auf dem Eiland. Die Via Tiberio entlang, vorbei an Artischockenreihen in MiniGärten. Links und rechts der Straße wuchert die blassgelbe Euphorbie, verströmen Wildkräuter und Wildblumen betörende Düfte. Hat man die Villa erkundet und am "Salto Tiberio" erschauernd in den Abgrund gespäht, der Kaiser ließ hier seine ausgedienten Lustknaben ins Meer stürzen, kommt man gleich nebenan, im Parco Astarita, ins Träumen bei der Aussicht aufs Meer und clic Villa von Curzio Malaparte. Der Autor von "Kaputt" ließ Ende der dreißiger Jahre seine "Casa come mc", sein "Haus wie ich", an der Ostküste auf einem unzugänglichen Felsvorsprung installieren. Die Villa gehört heute einer Stiftung, besichtigen kann man sie nicht. Von den Giardini di Augusto hat man nicht nur eine besondere Sicht auf die berühmten FaraglioniFelsen, sondern man kann dort auch eine Marmorstatue Lenins betrachten. Er ist eine der vielen Berühmtheiten in der langen Reihe der CapriBesucher. Rilke kam zum Dichten, Turgenjew und Gorki zum Schreiben, Strawinsky zum Komponieren und Legionen von Malern kamen, um Capris überwältigende Schönheit auf die Leinwand zu bannen. Vielleicht haben den skurrilen Maler Karl Diefenbach aus Bayern, er starb 1913 auf Capri, die knalligen Farben so überwältigt, dass er seine allegorischen Bildinhalte ausschließlich in dunkeltonigen Farben malte. Einige seiner großformatigen Werke hängen heue im Kartäuserkloster Certosa di San Giacomo an der Via Certosa. Nirgendwo sonst findet man auf kleinstem Raum, 10,4 Quadratkilometer, so viel landschaftliche Vielfalt, Kunst und Geschichte wie auf diesem magischen Eiland im blauen Golf von Neapel. Dass Capri eine faszinierende Wanderinsel ist, hat sich herumgesprochen, aber um in das höher gelegene Anacapri zu gelangen, sollte man den Bus nehmen. Villa und Garten des schwedischen Arztes und Autors Axel Munthe lohnen den Besuch. Und in der Kirche San Michele fasziniert der ungewöhnliche Fußboden aus bemalten Majolikafliesen. Sie erzählen die Geschichte der "Vertreibung aus dem Paradies" und stammen aus dem 18. Jahrhundert. Bleibt noch die Bootspartie zur "Blauen Grotte" und die Aussicht vom Gipfel des Monte Solaro. Den 600 Meter hohen Berg erwandert man (nichts für WanderAnfänger) durch herrliche Landschaft oder schwebt in stiller Lautlosigkeit per Sessellift nach oben von dort bietet sich eins der schönsten Panoramen der Welt: der blaue Golf mit der Sorrenter Küste, der wolkenverzierte Vesuv und in der Ferne Neapel. Alle Wege führen wieder zum Mittelpunkt der Insel, zur ,,Piazzetta", die Piazza Umberto I, vom Campanile und von pastellfarbenen Häusern umrahmt. Ab fünf sind dann wieder Tische frei für den Aperitif im "Al Piccolo", ,im ,,Caffè Caso" oder in der Bar Tiberio". Gerade rechtzeitig zum Spektakel. Wenn nämlich die rote Sonne über die Dächer kriecht und Capris schönsten Salon bestrahlt.
SERVICE
Reisezeit: Am schönsten ist es im Frühjahr und Herbst.
Wandern: Eine Broschüre mit diversen WanderRouten gibt es im TourismusBüro an der Piazetta im Campanile. Der elektronische AudioReisebegleiter Tiberio" führt zu Sehenswürdigkeiten und erzählt Historisches und Anekdotisches; auch in deutscher Sprache.
Blaue Grotte: Mit dem Boot ab Marina Grande. Die Besichtigung ist wegen des niedrigen Grotteneingangs nur bei ruhiger See möglich. Lange Wartezeiten vor der Grotte!
Auskünfte: Broschüren können unter der gebührenfreien Telefonnummer 008 0000 48 25 42 bestellt werden Enhältlich sind Karten. Standtpläne Unterkunftverzeichnisse sowie Beschreibungen touristischer Regionen.
Allgemeine Auskünfte unter Tel. : 030/2 47 83 98.
Von Henny Willenbrock