Diese Steine verströmen die Energie von zweieinhalbtausend Jahren", schwärmt Begleiterin Lorena und legt ihre Hand auf die rissige Felswand an der Phönizischen Treppe. Es waren aber, wohl griechische Einwanderer, die im fünften Jahrhundert vor Christus diese serpentinenförmige Treppe in den Berg meißelten. Immerhin blieb die "Scala Fenicia" bis 1874 die einzige Verbindung vom Haupthafen Marina Grande nach Anacapri. Alle angelandeten Waren mussten hinauf gebuckelt werden. Abwärts gehen sich die 500 Stufen natürlich bequemer, so ab der Villa San Michele. Dieses Haus war das elitäre Domizil des schwedischen Arztes Axel Munthe. 1929 löste er mit seinem "Buch von San Michele" einen CapriBoom aus. Die Phönizische Treppe endet nahe der Kirche San Costanzo, dem ältesten Gotteshaus der Insel. Von der Kirche sind es nur wenige Schritte hinunter ins Hafengewühl. Ständig laufen Schiffe ein und aus. Früher oder später treffen sich alle Ankömmlinge auf der ,,Piazzetta" (eigentlich Piazza Umberto I) im Dorf Capri. Schon früh am Morgen füllen sich die Tische. Das mehr ländliche Capri zeigt sich auf dem Gang zur Villa Jovis, dem einstigen Palast von Kaiser Tiberius im Nordosten der Insel. Enge Sträßchen schlängeln sich vorbei an manch edler Bleibe und manch prachtvollem Garten. Bald begleiten nur noch Weingärten, blühende Wiesen, Olivenbäume, Kakteen und sturmzerzauste Pinien den Weg. Oben, bei den Palastfragmenten, dann schroffe Felsen und das in fabelhaften Türkistönen schimmernde Meer. Kein Wunder, dass der russische Dichter Iwan Sergejewitsch Turgenjew Capri als "die Inkarnation der Schönheit" pries. Ähnliches muss schon der römische Kaiser Augustus empfunden haben. Er tauschte 29 vor Christus diese Insel gegen das wesentlich größere Ischia ein. Sein Nachfolger Tiberius regierte sogar das römische Weltreich elf Jahre (26 bis 37 nach Christus) von Capri aus. Von Begleiterin Lorena derart historisch belehrt geht es weiter zum Arco Naturale, einem bizarren Felsbogen am Meer, um dann zur wild zerklüfteten Steilküste hinunter zu steigen. Ein schmaler Pfad führt treppauftreppab, vorbei an der MatromaniaGrotte. Bald rücken die berühmten Faraglioni, drei Felsnadeln, mehr und mehr ins Blickfeld. Bis zu 109 Metern ragen sie aus den Fluten. Kein CapriUrlaub ohne die Blaue Grotte! Oft herrscht dort Andrang. Vor der niedrigen Öffnung müssen sich die Bootspassagiere lang legen, um ihre Köpfe zu retten. Drinnen leuchtet das Wasser tatsächlich in einem unsagbaren Blau. Wieder draußen kann man an Land springen und hinauf nach Anacapri gehen. Vielleicht in die Via G. Orlandi Nr. 75 zu Antonio Viva, der für seine handgemachten Sandalen über die Insel hinaus bekannt geworden ist. Neben dem Schuhmacherladen fertigt Francesca Lucca Attraktives aus Keramik. Diese Kunst hat hier Tradition. Das zeigt der herrliche MajolikaFußboden in der Kirche San Michele. Der Neapo litaner Leonardo Chiaiese schuf dort 1761 ein fantasievolles "irdisches Paradies" aus Keramik. Adam und Eva werden allerdings gerade daraus vertrieben.

Supersicht vom Solaro
Rund 50 Minuten dauert der Weg vom Gotteshaus zur Südwestspitze Punta Carena. Zurück in Anacapri bringt eine nostalgische Seilbahn die Gäste auf den 589 Meter hohen Solaro. Oben bietet sich eine Supersicht auf den Ort Capri, die Faraglioni, die Villa Jovis und das italienische Festland. Ein schmaler Pfad führt hinunter zum Wallfahrtskirchlein Santa Maria a Cetrella. Im Frühsommer taucht blühender Ginster den einsamen Landstrich in sattes Gelb.
Ein Muss am Abend, bei Sonnenuntergang: der Blick auf die Faraglioni, jetzt vom Licht vergoldet. Ja, "wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt..."

Ursula Wiegand